Ganztagesschulkonzept für Herrenberger Schulen

Veröffentlicht am 11.06.2008 in Gemeinderatsfraktion

Offener Brief des Fraktionsvorsitzenden der SPD an Oberbürgermeister Sprißler zum Thema Ganztagesschulen

Bodo Philipsen 8.6.08
Walnussweg 4
71083 Herrenberg

An den Oberbürgermeister der Stadt Herrenberg
Herrn Sprißler

Offener Brief – Ganztagesschulen

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

zunächst möchte ich mich sehr herzlich bei Ihnen für das sehr offene und konstruktive Gespräch im Rahmen der Runde aller an der Ganztageschulplanung Beteiligten am Freitagabend bedanken. Es war die erste Gesprächsrunde dieser Art seitdem wir als Sozialdemokraten 1999 die ersten Initiativen für Ganztagesschulen in Herrenberg gestartet haben. Zum ersten Mal hatten alle Beteiligten den Eindruck, dass sie ernst genommen werden und ihre Anregungen konstruktiv aufgegriffen werden. Dennoch bin ich in Sorge, dass organisatorische und verwaltungstechnische Fragen die eigentliche Zielsetzung von Ganztagesschulen unterlaufen könnten.

  1. Die Idee der Ganztagesschulen fand insbesondere nach den ersten PISA-Ergebnissen in Deutschland neue Anhänger, weil Länder wie Kanada und Schweden mit ihren Ganztagesschulen bessere Lernerfolge erzielten. Von besonderer Tragweite erwies sich, dass offensichtlich Halbtagesschulen soziale Chancengleichheit deutlich geringer herstellen können als GTS-Systeme. Fast nirgendwo auf der Welt sind Bildungschancen so eng mit der sozialen Herkunft verknüpft wie in Deutschland. Dies ist in einer Leistungsgesellschaft extrem ungerecht, aber in nächster Zukunft auch ökonomisch nicht mehr vertretbar, weil wir bald alle jungen Menschen in Deutschland benötigen, um unseren Fachkräftemangel zu beheben.
  2. GTS müssen deswegen mehr sein als Halbtagesschulen mit einem zusätzlichen Nachmittagsprogramm. (Halbtagesbetriebe) Wenn Schulen die beiden oben genannten Ziele erreichen wollen, müssen sie ihre gesamte Unterrichtskultur im Sinne von „Mehr Zeit für die Kinder“ verändern. Sie müssen Lebensräume werden. Dies geht nur in GTS.
  3. GTS sind die Chance - mehr individuelle Förderangebote für schwächere, aber auch stärkere Schüler anzubieten
    • mehr offene Unterrichtsformen, die zur Selbstständigkeit und Kreativität führen, durchzuführen
    • den Schultag zu rhythmisieren und flexibler auf die schwankende Leistungsfähigkeit der Kinder einzugehen
    • die Klassen- und Schulgemeinschaft durch längeres Zusammenleben zu stärken und damit soziales Lernen zu fördern
    • individuelle Hausaufgabenhilfen anzubieten
    • Zusatzbildungsangebote aus den Bereichen Sport, Theater, Musik, Kunst, Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften, die bisher vielfach nur verstreut und teuer extern zu erhalten waren, in der Schule anzubieten. Sie sind die Chance für Kinder selber aktiv zu werden.
  4. Gerade Kinder aus bildungsfernen Schichten oder Kinder, deren Eltern beide berufstätig sind, erleben heute häufig eine sehr öde und wenig anregende Freizeit, in der viele Fähigkeiten versanden. Gleichzeitig werden besonders leistungsstarke Kinder selten in der Regelschule in ihren großen Potentialen weiter gefördert.
  5. Ein Ganztagesbetrieb, der nur normalen Unterricht bietet, ein Mittagessen und zusätzliche Angebote durch externe Anbieten auf freiwilliger Basis und bezahlt über Gebühren, kann genau diese Aufgaben nicht lösen. Schule und externe Angebote werden unzureichend verzahnt, gerade im Gymnasium bleibt die extrem hohe Stundenbelastung, die dazu führt, dass zusätzliche Angebote kaum wahrgenommen werden, die Honorarkräfte sind zu wenig ausgebildet, die hohen Kosten für Mittag und Zusatzangebote halten gerade die Kinder ab, die man eigentlich erreichen möchte und führen statt zu Gemeinschaft zu sozialer Spaltung. Es ist für mich deswegen fraglich, ob diese Art von Ganztagesbetrieb überhaupt ein Schritt in die richtige Richtung ist.
  6. Es ist aus allen diesen Gründen nicht nachvollziehbar, dass das Land Baden-Württemberg weiter die GTS als Versuchsschule führt. Es ist höchste Zeit, dass für die erweiterte Pädagogik in GTS auch Lehrerstunden zur Verfügung gestellt werden. Sicherlich ist auch die gesamte Tradition in Deutschland mit den Vereinen und der Halbtagesschule so, dass sich GTS nur langsam werden durchsetzen können. Wir brauchen deswegen alle Geduld.
  7. Wir sollten aber unbedingt darauf achten, dass kommunale Gelder immer nur ergänzend sein können und dass sie vor allem für pädagogische Angebote und nicht schwerpunktmäßig für Verwaltungskräfte ausgegeben werden. Jeder Euro für Pädagogik ist vielfach besser eingesetzt als für Verwaltung. Ich bin weiter ein Anhänger dezentraler Lösungen an den Schulen, weil alle Schulen andere Bedürfnisse haben und auch unterschiedliche Lösungen für die oben aufgeführten Ziele entwickeln sollten. Dennoch müssen die Schulen insbesondere von Verwaltungsaufgaben entlastet werden, wenn sie ihrer pädagogischen Verantwortung gerecht werden wollen. So ist es sicherlich sinnvoll das Mittagessen zentral für alle zu organisieren oder Landesfördermittel zentral zu beantragen. Für nicht sinnvoll erachte ich es, wenn in unserer kleinen Stadt neben den Angeboten der Musikschule, der VHS oder der Vereine eine weitere Schiene hochgezogen wird. In diesen Einrichtungen arbeiten Profis mit viel Erfahrung, die wir nutzen sollten. Unsere Ganztagesmodelle zeichnen sich vor allem gegenüber anderen Kommunen dadurch aus, dass sie Modelle für schulartübergreifende GTS sind. Dies birgt auch die Chance, dass wir Schüler verschiedener Schularten zusammenführen und länger zusammen lernen lassen, dass sie füreinander Verantwortung wahrnehmen und Lernen durch Lehren (LDL) eine Grundsäule der Betreuung werden könnte.
  8. Wenn wir Kindern eine Chance geben wollen, müssen wir möglichst frühzeitig anfangen. Ein zentraler Fehler des deutschen Systems ist, dass wir prozentual zu viel Geld in die tertiären Systeme stecken. Deswegen bin ich auch der Auffassung, dass der Schwerpunkt der kommunalen Förderung der GTS in den Grundschulen liegen muss. Wie erfolgreich die Arbeit sein könnte, haben bereits die kurzen Erfahrungen an der Pfalzgraf-Rudolf-Grundschule bewiesen.

Meine Sorge ist, dass diese Angebote nicht weiter ehrenamtlich organisiert werden können. Hier steht die Stadt in der Pflicht, aber auch die Schule, die einen GTS-Antrag beim Land stellen sollte. Eine weitere Sorge ist, dass wir im Grundschulbereich nur in der Kernstadt ein Angebot unterbreiten. Dies darf nicht zu einer Benachteiligung der Stadtteile werden. Das Herrenberger GTS-Konzept muss sich an klaren gemeinsamen Zielen ausrichten und an vereinbarten Indikatoren messen lassen, es müssen Standards definiert werden, die wir erreichen wollen und wir müssen Meilensteine auf dem langen Weg zur erfolgreichen GTS-Bildung festlegen. Das vorgelegte Papier ist nur eine Antwort auf die organisatorischen Fragen, die wir aber erst klären können, wenn die pädagogischen Fragen geklärt sind. Ich hoffe, dass wir alle gemeinsam nun die richtigen Konsequenzen aus den ersten Erfahrungen ziehen. Als Schulleiter und Gemeinderat wollte ich Ihnen deswegen meine Überlegungen auf diesem Wege mitteilen.

Mit freundlichen Grüßen
Bodo Philipsen

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